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  • AutorenbildFranzi F.

Mit dem Kopf durch die Wand

"Don't bother calling the doc- the doctor, for this kind of disease Unscrew my mind, I walk with ease, 'cause I can feel it crawling underneath my skin." Tash Sultana - Free Mind

Neulich unterhielten wir uns auf meinem Discord-Server darüber, dass viele Autoren keine guten Bücher mehr schreiben, sobald es ihnen mental besser ergeht, oder sie ihren Alkoholkonsum reduzieren, oder sich ihr Leben anderweitig zum Guten wendet.

Tatsächlich kann ich das unterschreiben. Früher verbrachte ich Nächte und Tage damit, die kreativsten Dinge mit den einfallsreichsten Worten zu erzählen. Ich besaß die Muse, ich quetschte sie aus bis zum Geht-Nicht-Mehr. Das begann schon, als ich 15 war. Genau genommen schon früher, aber als Mädchen verfasste ich mehr Gedichte und Tagebuch-Einträge, später dagegen ganze Geschichten, Fanfictions und sogar ein Buchkonzept, das bis heute einstaubt. Fast alle meiner Hauptcharaktere hatten schwere Schicksalsschläge erlebt oder waren im Begriff, sie zu erleben. Es waren immer Wesen, mit denen sich ein Leser potenziell identifizieren konnte, gerade weil die größten Nerds oft wussten, wie schwer das Leben sein konnte und wie liebenswert Außenseiter mit ihren Problemen trotzdem sein konnten.

Ich erzählte von einer elfischen Spionin, die für ihre sehnsüchtige Liebe zu einem Kommandanten alles auf ihrer Mission hätte über sich ergehen lassen - und es auch tat. Von kaltherzigen Bösewichten, die auf dem zweiten Blick einen Grund zur Kälte hatten. Von gewieften Strippenziehern aus dem Schatten, denen man zunächst keine große Bedeutung beigemessen hatte. Das Internet war eine weiße Leinwand, auf die ich meine eigene große Fantasiewelt pinseln durfte und manch einer labte sich daran sogar, so wage ich zu urteilen.


Es bereitete mir Freude, mich in Welten zu stürzen, die wirklich alles sein konnten

- nur nicht real.


Heute schreibe ich kaum noch und wenn, dann aus meinem realen Leben. Es verläuft in Bahnen, die ich selbst damals, als ich schon so kaputt war, niemals hätte erdenken können. Alles ist so konfus und das oft nicht im guten Sinne. Aber es geht mir besser als früher. Früher, als ich beim Aufstehen von einem Schreib-Marathon an meinem Schreibtisch über klimpernde Bierflaschen stolperte und eher zweckmäßig ins Bett fiel, um morgen wieder in die Tasten zu hauen. Alles. Alles, nur nicht das reale Leben erleben und ertragen.

Ich wünschte manchmal, ich könnte zurück zu diesem kaputten Mädchen reisen und sie fest in meine Arme schließen, um ihr zu sagen, dass alles gut werden wird. Denn das hat niemand für sie je getan. Ich habe auch jetzt noch tiefes Mitgefühl für mein inneres Kind.

Die Wahrheit ist traurig und sie tut weh, wenn ich sie ausspreche:

Ich lernte über die Jahre meine eigene Mutter und mein eigener Vater zu sein.

Wenn mein inneres Kind heute geheilt ist, dann nur, weil ich es an meine Hand nahm und weil ich jahrelang für es im Dreck gewühlt habe. Dreck, den mir oft nicht ich selbst, sondern auch andere in den Weg geschippt hatten. So dankbar ich meiner Mutter bin, so sehr muss ich mir auch endlich eingestehen, dass das, wo ich heute stehe, mein Werk war.

Endlich verstehe ich Stück für Stück, dass es okay ist, dass ich jetzt stolz auf mich bin.

Wenn ich die unglückliche Version von vor vielen Jahren sehe und ihre durchwachsene Reise bis an diesen Punkt, zu diesem Tag.. Dann bin ich endlich einmal stolz auf mich selbst.


All die Dinge, die ich mir selbst einst vorwarf. Eine Versagerin zu sein, zu dumm für einen Abschluss, zu kaputt für ein geregeltes Leben, unbrauchbar für die Gesellschaft und eine Last. Ich tat mir immer wieder selbst Unrecht. Und diesen Teufelskreis habe ich durchbrochen.


Im letzten Beitrag schrieb ich von meinem Loch und den Nachwehen des Wohnungsverlusts. Von Schuldgefühlen, weil ich meinen Kurs nicht so oft besuchte, weil es mir so schlecht ging. Und davon, dass ich so liebe Menschen habe, die mich auf meinem Weg weiter unterstützen.

Mir ging es noch dieses Jahr sehr, sehr schlecht. Mein Freund, ich liebe ihn dafür, bat mich, zum Arzt zu gehen und mir helfen zu lassen. Ich brauchte eine Weile und tat es nicht. Es war alles so unglaublich schwer. Wieder schlug ich mich mit Schuldgefühlen herum, aber als es immer weiter auf den Abschluss zuging, rappelte ich mich aus eigener Kraft ein letztes Mal auf, ging zum Arzt und sprach schonungslos die Wahrheit darüber, wie es mir wirklich ging. Der Arzt kennt mich noch nicht so lange, umso dankbarer bin ich ihm, dass er mich sofort ernst nahm und mir aufhalf. Es war SO richtig, mir Hilfe zu suchen. Ich zog die Notbremse.

Das Resultat war, dass mein neuer (quasi Haus-)Arzt sich jede Woche für mich Zeit nahm und mich zum Gespräch einlud, weil es so schwer ist, Therapieplätze zu bekommen und für mich auch nach über 7 Jahren die Zeit gekommen war, mir einzugestehen, dass eine Therapie selbst nicht genug sein wird. Zum ersten Mal erwog ich die medikamentöse Hilfe und was soll ich sagen? Bei mir zumindest hilft es extrem, unterstützend zum geregelten Alltag und regelmäßigen Gesprächen meine Antidepressiva zu nehmen. Lange habe ich mich dagegen gesträubt und heute bin ich dankbar für diese Möglichkeit.



Die Notbremse war also vielmehr ein Boxenstopp und brachte mich wieder ins Rennen. Ich lernte viel, holte viel nach und während der Prüfungsphase schlug ich mich ganz nebenher mit unglaublichen Ärgerlichkeiten mit dem Amt, dank meiner Wohnungslosigkeit und einer Dame, die mir Steine in den Weg schmiss, herum. Ich ließ nicht locker und räumte gute Noten ab, wo ich nur konnte. Bereits an meinem ersten mündlichen Prüfungstag kam ich mit zwei Einsen heraus, der Trend setzte sich fort. Mein Zeugnis erhielt ich im Juni schließlich mit einem 1,9er Schnitt. Ich war so glücklich und es war so ein gutes Gefühl, das meinem Arzt erzählen zu können, der sich so herzlich für mich freute. Und meine beste Freundin gab mir so gute Gefühle während der ganzen Zeit, genau wie alle, die mir sagten, sie glauben fest an mich. Ich kniete mich auch weiter richtig herein, als es jetzt um meinen weiteren Weg ging. Der Abschluss sollte ja immerhin erst der Anfang sein!


Es war (und ist!) alles so surreal. Ich machte mir Sorgen, beschäftigungslos zu sein; und dass meine Bewerbungen nicht so von Erfolg gekrönt sein würden. Doch bereits die ersten zwei Bewerbungen führten sofort zu Einladungen. Beide Vorstellungsgespräche waren wundervoll und am Ende hatte ich sogar die freie Wahl. Ich entschied mich, erstmal die Einladung von der Volkshochschule anzunehmen und ein Praktikum zu machen. Bereits nach dem 3. Tag (von zwei Wochen Praktikum) ließ man mich wissen, dass man sich für mich entschieden hatte. Obwohl es bereits einen Azubi gab, wurde ich noch hinzu erwählt und beginne nächsten Dienstag meine Ausbildung dort, weil es mir so unheimlich gut gefallen hat!

Alles passierte sehr schnell, wenn auch wohlüberlegt. Mein Praktikum wurde verkürzt und ich konnte jetzt zwei Wochen Freizeit haben, bevor bald die Ausbildung beginnt. Da habe ich schon gemerkt, wie sehr es mir nach dem Schnupperpraktikum fehlte, dorthin zu gehen! Struktur, nette Mitarbeiter und Ausbilderinnen und ein toller Chef. Aufgaben, die ich sehr schnell begriff und auf die ich Lust habe und endlich auch der Ausbruch aus der Arbeitsamt-Falle, die mich sehr festgehalten hatte. Ich bin so unglaublich gehyped! Und so unglaublich stolz.

Das alles hat sich sehr schnell entwickelt. Aber, wie gesagt, es war auch sehr wohlüberlegt. Ich nehme meine Medikamente fürs Erste weiter, baue mir Strukturen und freue mich unglaublich auf meinen Ausbildungsplatz. Ich fühle mich wie ein Phönix, der aus der Asche aufsteigt.


Wer weiß, wie mein Leben bisher verlief, wird vielleicht verstehen, was für ein RIESIGES Ding das für mich ist. Ich bin so so dankbar, dass man mir im Betrieb meiner Wahl nicht mit Vorurteilen entgegentrat sondern als Menschen mit Verstand und Menschenkenntnis. Diese Chance wird ergriffen und nicht losgelassen. Ich bin dieser Tage so nah am Wasser gebaut, aber nur im positivsten Sinne. Strotzend vor Dankbarkeit und Glück.


All der Mist, der mir passiert ist. Die Mühen und der Schweiß und Tränen.

Und alles führt mich heute hier hin.


In den letzten paar Monaten wurde ich der Mensch, der ich sein wollte und der sich nach meinem authentischen Ich anfühlt. Anfang des Jahres wurde ich vegan, auch kein kleines Ding für mich, dann stellte ich mich meinen Problemen, bekam eine medikamentöse Therapie, stellte mich Gatherings wie z.b. einer Hochzeit, auf der ich niemanden kannte, sozialen Interaktionen die ich mich sonst nie getraut oder denen ich mich nie gestellt hätte, zwang mich auch mal mit einem sanften Stupser in ungewohnte Situationen und bereitete mich somit mental auf den kommenden Wandel vor. Und das war es echt wert! Ich machte diesen Sommer Erfahrungen, die mich und mein Selbstbewusstsein extrem stärkten.

Heraus aus der Komfortzone.


Danke an alle, die dabei waren und mich anfeuerten.

Sowas zu erleben ist ein Privileg und von so großem Wert.

Danke!


Ich beginne, für mich selbst der Mensch zu sein, mit dem ich eine innige Freundschaft eingehen würde. Und es ist wunderschön.



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